Meine erste Lammzeit
- nadinequinn7
- 23. Juli 2022
- 7 Min. Lesezeit
Es ist März 2005… und es ist eisig kalt draußen. Von Frühling ist noch überhaupt keine Spur. Seit einigen Monaten ist mein Leben total auf den Kopf gestellt. Anstelle von gemütlichen Spaziergängen und regelmäßigen Training auf dem Hundeplatz verbringe ich jede freie Minute mit meinen Hunden bei Ryan und seinen Schafen. Ich bin vom Hüte Virus infiziert und zu allem Überfluss auch noch verliebt, nicht etwa in die Schafe nein in den Schäfer.
Prioritäten werden neu gesetzt, Agi und Obe Stunden abgesagt, um stattdessen Schafe zu versorgen. Lamm buchten zu bauen und nach getaner Arbeit mit Pearl ein paar Minuten an dem Bocktrupp zu trainieren.
Abends schlafe ich meist um 20 Uhr völlig erschöpft ein, so dass bald auch keine Energie mehr für Fußball Training bleibt. Aber - nichts erfüllt mich so wie die Arbeit bei den Schafen.
Die Herde steht seit einigen Wochen in Dörentrup auf der Fläche wo die Muttern nun auch ihre Lämmer zur Welt bringen sollen. Doch irgendwie lassen die Blackface Lämmer auf sich warten… nach einer Woche mit nur wenigen Geburten entscheidet Ryan, dass es Zeitverschwendung ist Urlaub zu nehmen, wenn die Schafe noch nicht lammen wollen. Also geht er am Montagmorgen wieder zur Arbeit und bittet mich bevor ich zum Hundeplatz fahre noch mal kurz bei den Muttern vorbei zu schauen.
Nur kurz- höre ich ihn sagen und denke mir was solls, klar kann ich das machen.
Hinten in meinem kleinen Golf sitzen Pearl, Muggel, Jet, Joy und Dun. Seid wir zusammen wohnen, gehen die Ryans Hunde wenn er zur Arbeit geht mit mir mit. Als ich an der Fläche ankomme sehe ich schon das eine Mutter abseits von der Herde steht…
Oh, man denke ich, atme tief durch und gehe los. In den letzten Wochen habe ich zwar von Ryan einen Theoretischen Crash Kurs in Geburtshilfe und Schaf Versorgung bekommen… das ähnelte aber eher einem „Schafe für Dummies „Kurs. Nun gut weg laufen gilt nicht … also nähere ich mich langsam dem Schaf und siehe da, neben ihr liegt ein Lamm. Aber oh weh. als sich das Mutterschaf zum Lamm dreht und mir sein Hinterteil zu dreht sehe ich, dass zwei kleine Füße aus dem Schaf in meine Richtung zeigen.
Oh mein Gott! Was soll ich denn jetzt machen? Abwarten? Hoffen das, das Lamm allein kommt? Ich rufe Ryan an, der natürlich nicht ans Telefon geht. Was nun? Nix tun scheint mir gerade keine gute Idee.
Also gut. wie war das, das Schaf fangen und dann die Beinchen fassen und in einem Winkel nach unten ziehen. Ach ja und vorher sicher sein das die Beine zusammen gehören und ich nicht etwa an einem Vorder- und einem Hinterbein ziehe. Wie ich den Unterschied feststelle habe ich mir gefühlte 100 mal erklären lassen… All die Theoretische Einweisung hilft mir gerade nicht viel. Ich bin furchtbar aufgeregt.
Ich schleiche mich tölpelhaft an die Mutter an und greife viel zu zaghaft nach den Hörnern. Mist nicht erwischt! Die Mutter macht sich sofort vom Acker, lässt das schon geborene Lamm zurück und sucht Sicherheit in der Herde.
OH Nein, Was denn jetzt? Ok ich brauche einen Hütehund, der mir hilft. Bei Ryan sah das die letzten Tage einfach aus… das wird schon gehen, der Hund weiß ja was er tut, denke ich naiv.
Ich laufe zum Auto und hole Jet. An der Wiese angekommen sage ich „Come bye“ aber Jet guckt mich fragend an. ok na gut dann eben „away“… nix passiert… Jet guckt mich fragend an… „bin ich ein Border Collie“ scheint ihr Blick zu sagen….
Was nun? Pearl an die tragenden Mutterschafe lassen? Nein auf keinen Fall. Nur allzu eindringlich hat Ryan mir erklärt das nur ein ausgebildeter Hund an hochtragenden Muttern arbeiten darf und das auch nur wenn unbedingt nötig.
Was aber tun, wenn der Profi behauptet sie ist gar kein Border Collie? Als letzte Option bleibt der Aussi… und Muggel lässt sich zum Glück nicht zwei Mal bitten. Sie rennt direkt los und gemeinsam schaffen wir es die Mutter zu fangen. Zwar etwas anders als ich mir das vorgestellt habe, aber es geht. Muggel hält die Mutter in der Wolle und so kann ich sie am Horn greifen. Ich muss meine ganze Kraft aufbringen, um sie fest zu halten und auf die Seite zulegen. Mittlerweile schauen nicht nur Beine, sondern auch ein Näschen aus dem Schaf in meine Richtung. Zum Glück stellt sich so die Frage „ Vorder- oder Hinterbeine“ so nicht. Ich greife nach den glitschigen Beinchen und ziehe erst vorsichtig dann beherzt und dann ist der kleine Bock auch schon auf der Welt.
Während die Mutter das neu geborene trocken leckt, laufe ich los und sammle das Erst geborene ein.
Ok wie war das doch gleich? Ryan hat gesagt die Muttern mit Neugeborenen Lämmern sollen in eine der von uns vor zwei Wochen bereits gebauten Buchten im Weidezelt.
Rein theoretisch sollte die Mutter mir folgen, wenn ich die Lämmer hoch nehme, dafür Sorge das sie diese nicht aus den Augen verliert und langsam vor weg gehe. Soweit die Theorie, von der dieses Mutterschaf aber scheinbar noch nie was gehört zu haben scheint. Während ich langsam über die Wiese schleiche, macht diese Erstlingsmutter auf dem Absatz kehrt und läuft zurück in die Herde.
Puh, langsam wird das ganze echt anstrengend aber weg laufen gilt jetzt nicht. Also bringe ich erst mal die Lämmer in die Vorbereitete Bucht und gehe dann zurück auf die Wiese.
Aber oh weh… welches von den für mich fast gleich aussehenden Schafen war es denn nun? Zum Glück hinterlässt so eine Geburt doch unübersehbare Spuren und so kann ich nach kurzer Suche zusammen mit Muggel das unwillige Mutterschaf einfangen.
Was jetzt folgt ist ein echter Kraftakt. Ich ziehe an den Hörnern der gefühlt mindestens 70 kg schweren Mutter. Die mir alles entgegensetzt was sie kann. Ich entscheide das Schaf zwischen die Beine zu nehmen. Naiv wie ich bin, rechne ich nicht mit dem Tatendrang von Muggel. Ab jetzt macht sie dem Schaf ordentlich Beine und so reite ich quasi auf dem Schaf zum Zelt. Im Weidezelt angekommen erinnert sie sich wieder an ihre Mutterpflichten und marschiert ohne Wenn und Aber in die Bucht. Noch schnell Futter und Wasser bereitstellen … geschafft denke ich zufrieden und bin im Gedanken schon auf dem Weg zum Hundeplatz. Aber was sehe ich da… da läuft doch noch eine Mutter mit zwei Lämmern auf der Wiese herum.
Ok denke ich mir… weg gucken geht nicht… also renne ich gemeinsam mit Muggel über die Wiese, um erstmal die Lämmer einzusammeln. Was wäre ich an diesem Tag nur ohne diesen Hund… ein erfahrener Hund und alter Hase was die Hilfe in der Lamm Zeit angeht ist Muggel.
Sie schubst die Lämmer sanft um, so dass ich sie greifen kann. Zum Glück folgt mir diese Mutter. Wie war das doch gleich… immer kontrollieren ob die Lämmer etwas im Bauch haben… schaltet sich mein Kopf ein – der Schafe für Dummies Kurs war also doch nicht ganz umsonst. Ich lege die Hand auf den Bauch der Lämmer und irgendwie fühlt sich das nicht nach einem vollen Bauch an. Ich bin mir aber nicht 100% sicher. Als ich die kleine Familie in die für sie vorgesehene Bucht bringe fällt mir auf das dieses Schaf ein riesiges Euter hat. Fast so groß wie das einer Kuh.
Einen Moment beobachte ich die Lämmer, die zwar am Euter suchen aber beide die Striche nicht finden. Also heißt es in die Bucht klettern und die Lämmer anhalten. Ein bisschen Schiss habe ich ja schon als die Mutter so auf die Erde stampft, aber das hilft ja alles nix…. Schafe sind Veganer sage ich mir und dann klettere ich in die Bucht. Mit etwas Geduld und rumprobieren schaffe ich es irgendwie das beide Lämmer trinken.
Mittlerweile ist mir trotz frostiger Temperaturen ganz schön warm. Ein Blick auf die Uhr und mich trifft fast der Schlag… es sind mehr als 2 Stunden vergangen.
Nur mal kurz nachgucken hat er gesagt… brummle ich. Ich werfe einen Blick nach draußen auf die Wiese, dort scheint jetzt zum Glück alles in bester Ordnung. Also schau ich noch mal in die Buchten bevor ich mich endlich auf den Weg zum Hundeplatz mache.
In einer der Buchten steht schon seid einigen Tagen ein Mutterschaf, das einen Gurt um den Bauch trägt. Sie hat einen Prolaps – einen Scheidenvorfall, bei dem durch eine Bindegewebsschwäche das Schaf quasi sein Innerstes nach außen drückt. Um das Schaf und auch dessen Lämmer zu retten, hatte Ryan einen sogenannten Vorfallbügel eingesetzt, der dafür sorgt, dass das Schaf zwar ohne Probleme seine Lämmer zur Welt bringen kann aber im Idealfall sein Innerstes da behält wo es hingehört. Dabei zu zusehen wie Ryan dem Schaf hilft und den Bügel einsetzt war schon ganz schön beeindruckend. Umso größer ist meine Verzweiflung als ich sehe das genau dieses Schaf ausgerechnet heute wieder alles rausgedrückt hat und auch zwei Lämmer neben ihr stehen.
Das Schaf ist sehr schwach. Ich bin ratlos und beschließe den anzurufen Tierarzt zu rufen weil ich Ryan telefonisch immer noch nicht erreiche. Zum Glück ist dieser gerade bei einem Bauern im Dorf und kommt auch recht zügig. Er bestätigt meine Befürchtungen und erlöst die Mutter.
OH Gott, was wird Ryan nur sagen – wenn der von der Arbeit kommt… denke ich.
Was machst du denn jetzt mit den Lämmern? Höre ich den Tierarzt fragen… Ich zucke mit den Schultern, ehrlich ich bin völlig überfordert.
Endlich klingelt mein Handy. Es ist Ryan. Ich fange auch gleich an zu schluchzen… und erzähle von den beiden Lämmern ohne Mutter. „Weiter oben im Stall steht ein Mutterschaf mit nur einem Lamm, die hat gestern erst gelammt. Bind sie an den Hörnern an so dass sie das fremde Lamm nicht boxen kann und Jubel ihr eins unter. Ich komme so bald es geht nach Hause. „
30 Minuten später taucht Thomas, ein Bekannter von Ryan auf. Ryan hat ihn angerufen, er nimmt das zweite Lamm mit. „hier siehts ja aus wie auf dem Schlachthof“ scherzt er. aber mir ist alles andere als zum Lachen zu mute.
Gegen 14 Uhr taucht auch endlich Ryan auf. „Ich habe fertig“ sage ich nur völlig erschlagen. Dann steige ich in meinen Golf und fahre nach Hause. Diesen Tag muss ich erst mal verdauen.

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